2- Historische Umwelt
               
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T. Schmehrer: Geografische und historische Perspektiven des Kulturlandschaftswandel am Beispiel des Triftwesens in der Bayerischen Pfalz 1816-1860, Mitteilungen der Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz, Nr. 15/1998


2. HISTORISCHE UMWELTEN IM KONTEXT DER DISZIPLINEN GEOGRAPHIE UND GESCHICHTE

Die Aussage Ernst Neefs, daß die geographische Realität ein historisches Ergebnis sei, verdeutlicht den Zusammenhang zwischen den Strukturen heutiger Kulturlandschaften mit den raumzeitlichen und raumgestaltenden Prozessen und Verhältnissen der anthropogenen Umwelten der Vergangenheit. Allein diese Tatsache läßt die enge Verbindung der beiden Disziplinen Geographie und Geschichte transparent werden.

Das "Phänomen des Raumes in seiner historischen Dimension" ist dabei von den beiden Wissenschaften recht unterschiedlich behandelt worden. Auch wenn sich beide mit der "Geschichtlichkeit menschlichen Handelns und menschumgebender Umwelt" befassen, gehen die diesbezüglichen disziplineigenen Forschungsanliegen von verschiedenen Ansatzpunkten aus, was sich nicht zuletzt auch in der Verwendung unterschiedlicher Quellen äußert. Diese Divergenz ist einerseits durchaus angebracht, denn die Geschichtswissenschaft sieht sich als die Wissenschaft vom Handeln des Menschen, während sich die Geographie mit den Resultaten dieses Handelns auseinandersetzt. Eine unterschiedliche Fragestellung verlangt demnach auch nach einer anderen Methodik bzw. anderen Annäherungsweisen an diese spezielle Problematik.

Andererseits befinden wir uns hier in einem Grenzbereich der beiden Disziplinen, der eine vernetzte und mehrgleisige Auseinandersetzung mit diesem Problemfeld verlangt. Des weiteren impliziert die Auseinander­setzung mit der Mensch-Umwelt-Beziehung in historischer Perspektive eine holistische Betrachtungsweise, wenn man Umwelt als das Zusam­menspiel aller Faktoren, die ein Individuum an einem bestimmten Punkt der Geosphäre umgeben (s.o.), verstanden wissen will. Die Erforschung und Darstellung dieser Beziehung aus der Perspektive von nur einer der beiden Wissenschaften würde also zu einem vielleicht nicht notwendigerweise falschen, aber in vielen Bereichen doch oberflächlichen Bild von früheren Umwelten führen. Eine fachspezifische geographische oder historische Herangehensweise kann zur Lösung des Problems daher nur nach einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit fragen.

In diesem Zusammenhang machte Klaus Fehn darauf aufmerksam, daß essentielle Fortschritte im Grenzbereich von Wissenschaften nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich sind. Hubert Mücke sieht die Beachtung, Kenntnis und offene Auseinandersetzung mit fachfremden Ansätzen sogar als geradezu existentiell für jede Disziplin an, wobei er dem Problemfeld Mensch-Umwelt hierbei einen besonderen Stellenwert zumißt.

Auch wenn in der Zusammenarbeit von Geographie und Geschichte seit den siebziger Jahren erhebliche Fortschritte festzustellen sind, so hat sich eine unmittelbare und kontinuierliche Zusammenarbeit bei den recht starren Grenzen der Disziplinen bisher leider kaum entwickeln können. Dieser Befund gilt in besonderem Maße für die beiden Teilwissenschaften von Geographie und Geschichte, die historische Umwelten als Forschungsgegenstand haben. So besitzt das Verhältnis von Historischer Geographie und Umweltgeschichte bis heute eher den Charakter einer gegenseitigen "Informationsbereitstellung". Nach wie vor hält sich bei­spielsweise die Ansicht, daß die Historische Geographie für die Geschichtswissenschaft die naturräumlichen Gegebenheiten oder "die Fixierung bestimmter örtlich-geographischer Zustände" für einen speziellen Zeitraum herauszuarbeiten hat. Auf der anderen Seite scheint sich das geschichtswissenschaftliche Moment in der historisch-geographischen Forschung, und hier insbesondere im Bereich der angewandten Historischen Geographie, fast nur noch auf die Verwendung der historischen Hilfswissenschaften zu beschränken.

Eine Reduzierung der interdisziplinären Zusammenarbeit auf eine rein 'hilfswissenschaftliche Ebene' kann jedoch einer holistischen Sichtweise nicht gerecht werden. Das von Jäger vertretene Postulat, die Historische Geographie stehe "durch ihre fächerübergreifenden Verbindungen [...] mitten in einem interdependenten Geflecht wissenschaftlicher Disziplinen", wäre z.B. in dieser Hinsicht dann kaum noch gerechtfertigt.

Wie schon erwähnt, besitzen Historische Geographie und Umweltgeschichte allein schon von ihrer interdisziplinären Methodologie her gleichwohl gute Voraussetzungen, sich mit der Materie der historischen Mensch-Umwelt-Beziehung sowohl auf begrifflicher als auch auf theoretischer Ebene auseinanderzusetzen.

Die Intention dieser Arbeit liegt daher auch nicht in der Etablierung eines gemeinsamen Forschungsparadigmas zu dieser Problematik begründet, sondern es soll vielmehr darum gehen, alle zur umfassenden Erklärung wichtigen Problembereiche und Ansätze der beiden Wissenschaften gleichberechtigt einzubringen und miteinander zu verknüpfen. Im folgenden sollen diese Beiträge von Historischer Geographie und Umweltgeschichte zu historischen Umwelten bzw. Kulturlandschaften kurz dargestellt werden, um dann in einem weiteren Schritt naher auf die möglichen Perspektiven und Ansatzpunkte einer interdisziplinären Zu­sammenarbeit zwischen den beiden Wissenschaften einzugehen.

 

2.1    Kulturlandschaften als Forschungsfeld der Historischen Geographie

Disziplinär gesehen ist die Mensch-Umwelt-Beziehung eine originär geographische Fragestellung, genauer gesagt, das eigentliche zentrale Element der Geographie überhaupt. Dabei kommt der Erforschung und Darstellung von Räumen bzw. der "Klärung räumlicher Zusammenhänge" in ihrer Wechselwirkung mit der menschlichen Gesellschaft aus der Perspektive unterschiedlicher Maßstabsebenen eine entscheidende Rolle zu.

Diese Raumkonzeption der Geographie zeichnet sich jedoch durch die Problematik aus, daß der parallele Gebrauch von Begriffen, wie z.B. Region, Areal, Gebiet, Provinz, Bereich, Örtlichkeit, Theatrum, Gegend, Standort, Territorium, Bezirk, Umwelt, Land und Landschaft nicht nur zu einer gewissen begrifflichen Unschärfe, sondern insbesondere auch zu einer verschiedenartigen Wertigkeit des Raumbegriffes geführt hat. Der geläufigste Terminus für einen Raum mit seinen zahlreichen Bedeutungen ist in dieser Hinsicht sicherlich der der 'Landschaft'. Allgemein wird mit Landschaft das komplexe Wirkungsgefüge aller Komponenten und Tatbestände eines Teils der Erdoberfläche und deren charakteristische räumliche Ausdehnung bezeichnet. Eine landschaftliche Veränderung bzw. ein Eingriff des Menschen in das natürliche Gepräge einer Landschaft kann, um hier nur einige zu nennen, durch wirtschaftliche, rechtliche, soziale, administrative, demographische und nicht zuletzt technische Kräfte bewirkt werden. Bei diesen Vorgängen werden Prozesse mit einer anthropogenen Dimension in eine unmit­telbare Beziehung zum naturgegebenen Raum gesetzt. Auf diesen Kontaktbereich zwischen dem Menschen als sozialem Wesen auf der einen Seite und der ihn umgebenden Umwelt auf der anderen Seite bezieht sich der Begriff der Kulturlandschaft.

Das deutsche Lehnwort 'Kultur' besitzt dabei in der Geographie eher einen extensiven Charakter. Die weitreichende Definition aus der Soziologie, die Kultur als "die Gesamtheit der Lebensformen, Wertvorstellungen und der durch menschliche Aktivitäten geformten Lebensbedingungen einer Bevölkerung in einem historisch und regional abgrenzbaren (Zeit-) Raum" auffaßt, führt dann auch speziell innerhalb der Problematik der Mensch-Umwelt-Beziehung zu einer rein heuristischen Methodik, mit der theoretische Wirkungszusammenhänge und Regelkreise abgeleitet und dargestellt werden können. Besonders durch die Betonung des historischen Momentes an Kultur wird die Manifestation der menschlichen Einflüsse in der (Kultur-) landschaft transparent und operationalisierbar. Des weiteren ermöglicht der Begriff Kultur mittels der Erfassung der "materiellen Kulturtatbestände" in einem Raumausschnitt einen Zugang zur Erklärung gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse.

In einigen systemtheoretischen Modellen wurde versucht, diese kulturellen und natürlichen Bestandteile der Kulturlandschaft in ihren spezifischen Formen und Funktionen im Hinblick auf ihre Einflußnahme und Regelhaftigkeit zu analysieren. Dabei wird z.T. eine deutliche Trennung zwischen den beiden Komponenten Mensch und natürliche Landschaft vorgenommen. So unterscheidet beispielsweise Wilhelm Wöhlke in der Kulturlandschaft ein primäres und ein sekundäres Milieu, in denen bestimmte 'Kräftekonstellationen' wirksam sind, "die den Prozeß der Gestaltung der Kulturlandschaft regeln bzw. steuern." Die 'Landesnatur' bildet in seinem Modell dabei das primäre Milieu, die Kultur bzw. die Gesellschaft das sekundäre Milieu. Unter der Voraussetzung, daß Natur- und Kulturlandschaft "durch Prozesse erschaffen und erhalten" werden, wird diesen Kräften ein funktionaler Charakter zugeschrieben. Wenn also unterschiedliche Landschaften nichts anderes sind als zeitliche Aus­schnitte aus Prozessen, implizieren diese Unterschiede auch Divergenzen in den Prozessen selbst. Diese landschaftsgestaltenden Prozesse gilt es für jedes Milieu im einzelnen aufzuschlüsseln und in ihrer Bedeutung für die Entwicklung einer Landschaft zu analysieren. Nach Wöhlkes Auffassung ist das sekundäre Milieu dabei dem primären aufgelagert. Die Verbindung zwischen beiden Systemen/Milieus erklärt sich aus der Be­wertung und Inwertsetzung (challenge und response) der Landschaft heraus, die vor allem durch das Wirtschaften des Menschen, "d.h. durch den Einsatz von Fähigkeiten zur Befriedigung von Bedürfnissen" geschaffen werden. Das Ergebnis des menschlichen Handelns (sekundäres Milieu) auf der Grundlage der Landesnatur (primäres Milieu) ist dann nach Wöhlke die Kulturlandschaft.

Ahnlich wie Wilhelm Wöhlke versucht auch Ernst Neef mit seinem Ansatz hinsichtlich der Entstehung von Kulturlandschaften, eine Art geographischer Gestaltlehre in der Forschung zu etablieren. Ausgehend von der Kulturlandschaft als einem "beweglichen und dauernd veränderlichem System materieller Erscheinungen", das in seinem Zustand und seiner Entwicklung bestimmten Regelhaftigkeiten (Kausalitäten) unterliegt, fordert Neef eine 'Aufdeckung der Kausalbeziehungen' der landschaftsbildenden Einzelkomponenten. Dabei mißt er der Umformung der Landschaft durch 'gesellschaftliche Arbeit' eine besondere Bedeutung zu. Während das Wirken der reinen Naturvorgänge mit den Methoden der Geographie schon weitgehend geklärt ist - oder zu klären ist -, bedarf das Handeln des Menschen einer gesonderten Betrachtungsweise, die "die gesetzmäßigen Beziehungen zwischen der geographischen Sphäre und der menschlichen Gesellschaft als kausale [Beziehung] erfaßt. Neef wählt für letztere den Begriff der 'psychischen Kausalität', womit er ins­besondere dem Prozeß der 'bewußten Landschaftsumgestaltung', i.e. die menschlichen Beweggründe, Motivationen und Erscheinungen, gerecht zu werden versucht. Zur Beschreibung des Kontaktbereiches zwischen "gesellschaftlicher Bewegung und geographischer Substanz" benutzt Neef das Modell der 'psychischen Treppe', die sich (hier vereinfacht) aus folgenden Komponenten (Stufen) zusammensetzt:

Präexistente Form der (Kultur-)landschaft

1. Auftreten einer Inkongruenz zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung

2. Bewußtwerden des Widerspruchs

3. Urteilsbildung

4. Entschluß zum Handeln

5. Landschaftsgestaltende Handlung

Zum Schluß: Neue Form der Kulturlandschaft 

Zur Klärung der Entstehung von heutigen Kulturlandschaften, die für Neef ein Ergebnis historisch ablaufender, vielschichtiger Prozesse dar­stellen, bedarf es also zunächst einer Art Funktionsanalyse des menschlichen Handelns. Mit ihrer Hilfe sollen die 'Urteile', 'Maßstäbe' und 'wissenschaftlichen Erkenntnisse', auf denen "die jetzt noch bestehenden Formen eigentlich basieren", aufgezeigt werden. Diese Beurteilung des menschlichen Verhaltens als eine "psychische Kausalität' oder regelhafte Handlungsweise unter ähnlichen Bedingungen, als eine Art soziologisches Motiv mit einer genau festgelegten Variationsbreite führt über das eigentliche Forschungsanliegen der Geographie hinaus. Die Lösung dieses Problems ist wohl eher auf dem Gebiet der Philosophie zu suchen, womit wir uns wieder dem Bereich der Geschichtswissenschaft nähern.

Die etwas ausführlichere Darstellung dieser beiden systemtheoretischen Ansätze zur Genese von Kulturlandschaften, obwohl in der geographischen Forschung leider relativ wenig beachtet, rechtfertigt sich durch die besondere Herausstellung des 'menschlichen Elements' im Wirkungskomplex Kulturlandschaft. In dieser Hinsicht liefern die beiden Ansätze grundlegende Überlegungen zu den Motivationen und Ursachen menschlicher raumrelevanter Aktivitäten. Neefs Modell, das sich intensiv mit den im Menschen ablaufenden Prozessen (psychische Kausalität) befaßt, die zur Entstehung räumlicher Aktivitäten führen, stellt in dieser Form quasi einen Vorläufer des gut zwanzig Jahre später entwickelten Ansatzes der Wahrnehmungsgeographie dar.

Für die Erforschung der Genese von Kulturlandschaften ist diese von Neef vorgestellte Vorgehensweise erst in den letzten Jahren wieder ins Blickfeld des Interesses gerückt. So macht beispielsweise Helmut Jäger darauf aufmerksam, daß allein schon der Begriff darauf hinweist, daß es sich bei Kulturlandschaft um einen vom Menschen gestalteten Raum handelt, "nur wurden menschliche Aktivitäten oft gegenüber der formalen Erörterung des Wandels von anthropogenen Formen vernachlässigt."

Diese anthropogenen, 'jetzt noch bestehenden Formen' verweisen auf eine Kategorie in der Kulturlandschaftsforschung, der eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Gemeint sind sogenannte persistente Strukturen und Phänomene. Sie sind im Wandlungsprozeß übriggebliebene Relikte, die, gleich welcher Art sie auch sind, in einem lückenlosen Zusammenhang mit den heutigen und auch den zukünftigen Strukturen von Kulturlandschaften stehen. Als fester, immanenter Bestandteil einer jeweiligen Kulturlandschaft umfas­sen sie nicht nur gegenständliche Fossile/Relikte, sondern insbesondere auch das räumliche Gesamtgefüge einer Landschaft. Josef Schmithüsen spricht diesbezüglich von einem 'geistigen Gehalt in der Kulturlandschaft' und weist den Formen und Gestaltungen den Charakter eines 'beseelten Stoffes' oder 'objektivierten Geistes' zu. 

Genau diese persistenten Strukturen stellen die "historischen Konstanten" einer Kulturlandschaft dar. Als feste Bestandteile beeinflussen und prägen sie die kulturlandschaftlichen Prozesse ebenso, wie sie als Rückwirkung auf die Entscheidungen der gesellschaftlichen Bereiche einwirken. Dieser Kontaktbereich von früherer menschlicher Aktivität und den persistenten Erscheinungen auf der Erdoberfläche, in ihren früheren und gegenwärtigen Ausprägungen, ist das Forschungsfeld der Historischen Geographie.

Die menschlichen Aktivitäten sind dabei als die grundlegende Vorausset­zung für einen Wandel der Kulturlandschaft anzusehen. Diesen Wandel bzw. die Genese von Kulturlandschaften, sowohl von einer querschnittlichen als auch von einer längsschnittlichen Betrachtungsweise aus, gilt es für die Historische Geographie darzulegen. Die Geschichte der gegen­wärtigen Kulturlandschaften kann dabei z.B. durch eine 'schichtenweise Rekonstruktion' aufgedeckt werden. Die Methode der Rückschreibung stellt, zusammen mit der progressiven Methode, auch heute noch einen verbreiteten Ansatz in der Historischen Geographie dar. Bei dieser 'Konzeption der tradierten Substanz', d.h. einer genetischen Erklärung von heutigen Strukturen, werden einzelne Entwicklungsstufen aufgezeigt, in denen die neuen Komponenten in der Kulturlandschaft als ein transformierter Zusatz zu den schon bestehenden Kulturlandschaftsele­menten verstanden werden. Die Verknüpfung der einzelnen Schichten mit historischen Zeitabschnitten ermöglicht dann eine genetische, auf die Prozeßhaftigkeit der Entwicklung abzielende Betrachtungsweise der gegenwärtigen Strukturen der Kulturlandschaft.

Abschließend läßt sich festhalten, daß sich durch die Erforschung von historischen Kulturlandschaften (Umwelten) Rückschlüsse auf das frühere Verhältnis Mensch-Umwelt ziehen lassen. Die Einheit und die Struktur der Kulturlandschaften beruhen dabei auf der Verbindung von natürlichen und kulturellen Elementen unter dem Einfluß von historischen Prozessen. In diesem Sinne ist Kulturlandschaft als ein historisch­geographischer Begriff zu verstehen.

2.2    Der Beitrag der Umweltgeschichte

Die Untersuchung historischer Umwelten aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft stellt in mehrfacher Hinsicht ein Problem dar.

Zunächst ist auffallend, daß in den Geschichtswissenschaften und hier insbesondere in der jungen Zweigwissenschaft der Umweltgeschichte eine einheitliche Begrifflichkeit und "ein eindeutiger Wortverstand von Umwelt fehlt." Eine mangelnde definitorische Eingrenzung und die synonyme Verwendung der Begriffe Natur, Ökologie und Umwelt, die für viele umwelthistorische Arbeiten festzuhalten sind, scheinen hierfür verantwortlich zu sein.

So ist beispielsweise in einigen Arbeiten von einer Auseinandersetzung des historischen Menschen mit der Natur die Rede. Ist mit Natur in diesem Sinne nun die Gesamtheit der Dinge, aus denen die (Um-)Welt besteht, gemeint oder wird darunter vielmehr die natürliche, vom Men­schen unberührte Umwelt verstanden? Selbst der häufig zu findende Ausdruck 'natürliche Umwelt' ist nicht unproblematisch, da oft nicht deutlich hervorgeht, ob dieser Terminus nur die den Naturgesetzen un­terliegenden Umwelten ohne anthropogene Einflußnahme (Naturlandschaften) beinhaltet, oder ob er als die Gesamtheit aller, den Menschen umgebenden Faktoren aufgefaßt wird?

Speziell am Untersuchungsobjekt Wald tritt diese Problematik besonders deutlich hervor. Wald wird oft einfach als natürliche Umwelt, als Naturlandschaft oder nur als die den Menschen umgebende Natur bezeichnet. Diese Terminologie impliziert jedoch gerade hinsichtlich des Menschumwelt-Verhältnisses eine Ungenauigkeit und unklare Wertigkeit, da der anthropogene Bezug, sprich die Beziehung des Menschen zum Objekt Wald, was ja in diesem Fall das eigentliche Forschungsanliegen der Umweltgeschichte ist, nicht klar zum Ausdruck kommt. Fehn macht in dieser Beziehung deshalb darauf aufmerksam, "daß die Basis der raumbildenden Ge schichtskräfte nicht die Naturlandschaft ist, sondern die von Menschen genutzte und in Wert gesetzte Kulturlandschaft." Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch die unbestimmte Verwendung der Kategorie Raum durch die Geschichtswissenschaft. Während Zeit das eigentliche Forschungsobjekt der Geschichtswissenschaft dar­stellt, wird Raum dagegen als bloße Ordnungskategorie aufgefaßt und stellt in diesem Sinne lediglich einen Parameter der historischen Forschung dar.

Als reines Verortungs- und Abgrenzungsprinzip von bestimmten Forschungsbereichen fehlt dem Raumbegriff der Geschichtswissenschaft das Merkmal eines Beschreibungsmaßstabes und Ordnungssystems, mit deren Hilfe man in der Lage wäre, "Raum und Räumlichkeit zu operationalisieren, also durch adäquate Modellvorstellungen und Darstellungswei­sen in die fachspezifischen Fragestellungen zu integrieren." Insbesondere in bezug auf die Untersuchung von historischen Umwelten, in denen das Verhältnis des Menschen zum Raum thematisiert wird, weist die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kategorie Raum daher ein Defizit auf.

Durch die Verwendung des Landschaftsbegriffes in der Geschichtswis­senschaft lassen sich allerdings einige Parallelen zum geographischen Landschaftsverständnis aufzeigen. Mit der Prägung des Begriffes 'Geschichtslandschaft' wird auf ein wichtiges Faktum des historischen Raumes aufmerksam gemacht. Die Hervorhebung eines dynamischen Moments in der Geschichtslandschaft gegenüber der Statik und "kaum wahrnehmbaren Veränderung des geographischen Milieus" definiert die historische Landschaft als nicht von der Natur, sondern als von der Geschichte regierten Raum Geschichtslandschaften besitzen in dieser Hinsicht eine eigene Identität und einen spezifischen Eigencharakter. Diese Identität, die in ganz besonderer Weise aus der Identifikation der Bewohner mit dieser Landschaft resultiert, äußert sich durch die Gleichzeitigkeit von Persistenz und Dynamik in der jeweiligen Landschaft. Durch die Komponente der Identifikation mit dem Raum erhält die Untersuchung von Geschichtslandschaften dann eine einheitliche und umfassende Akzentuierung, die der holistischen Betrachtungsweise der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung sehr ähnlich ist. Zudem wird mit den Faktoren Persistenz und Dynamik auf die sich im stetigen Wandlungsprozeß befindlichen anthropogenen Elemente und Strukturen der Kulturlandschaft hingewiesen.

Eine weitere Problematik ist in den unterschiedlichen Ansätzen der Umweltgeschichte zu suchen. Wie schon angesprochen, handelt es sich bei der Historischen Umweltforschung um eine relativ junge Teilwissenschaft der Geschichte, bei der die theoretischen Überlegungen noch immer gegenüber den methodischen Umsetzungen überwiegen.

So erschweren die verschiedenen Ansätze einen einheitlichen Zugang zur Auseinandersetzung mit historischen Umwelten, da sie sich z.T. erheblich in ihrer Begrifflichkeit, ihrem Forschungsgegenstand und ihrer Zielsetzung voneinander abheben bzw. unterscheiden. Die Untersuchung historischer Kulturlandschaften und deren Wandel bildet dabei nicht wie in der Historischen Geographie ein klar definiertes For­schungsziel, sondern höchstens einen Teilaspekt in der gesamten Forschungsmatrix der Umweltgeschichte, der einer separaten und differen­zierten Herausarbeitung bedarf.

Dies birgt aber andererseits den Vorteil in sich, daß der Umweltgeschichte vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sich auf der Basis der unterschiedlichen historischen Disziplinen (z.B. Technikgeschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte, Stadtgeschichte, Medizingeschichte und nicht zuletzt Forstgeschichte) dem Forschungsfeld 'historische Umwelten' relativ unbefangen zu nahen bzw. sich mit diesem auseinanderzusetzen.

Die drei, im deutschsprachigen Raum vorherrschenden umwelthistorischen Ansätze sollen im folgenden kurz vorgestellt und auf ihren Beitrag zum Objekt 'historische Kulturlandschaft' hin überprüft werden.

Ein erster, sozial-, wirtschafts- und technikgeschichtlicher Ansatz legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Untersuchung, "wie sich die langfristigen Lebens- und Reproduktionsbedingungen der Menschen entwickelten, wie der Mensch sie selber beeinflußte und auf Störungen reagierte." Ausgehend von der Natur als Ökosystem sollen insbesondere die bei der Umgestaltung naturnaher Räume unbeabsichtigten Langzeitwirkungen und die daraus resultierenden "Kettenreaktionen mit den Naturprozessen" untersucht werden. Daran anschließend ist vor allem von französischen Historikern der sogenannte «Pollution»-Ansatz formuliert worden, der sich mit der gesellschaftlichen Resonanz auf die beim wirtschaftlichen Prozeß der Naturaneignung in Erscheinung tretenden Störfaktoren befaßt. Den Hauptgesichtspunkt dieser 'Verschmutzungsansätze' bildet dabei die individuelle Wahmehmumg der auftretenden Verschmutzungen und die sich daraus entwickelnde geistige Auseinandersetzung im Hinblick auf Verursacher, Wirksamkeit, Verträglichkeit und Beseitigungsmöglichkeiten.

Ein zweiter, stark anthropologisch ausgerichteter Ansatz sieht Natur in ihrer ganzheitlichen Bedeutung als ein durch Energieeinfluß und von Stoffkreisläufen bestimmtes Ökosystem an. In diesem Ökosystem unterliegen sowohl biotische als auch abiotische Komponenten denselben physikalischen Gesetzen. Diese Komponenten stehen dabei in einer Interaktion zueinander, durch die die Strukturen des Ökosystems aufrechterhalten werden. Der Bevölkerungsentwicklung, als drittem Faktor neben den Energie- und Stoffkreisläufen, wird hierbei ein 'Moment der Evolutionsbeschleunigung' zugemessen, welches sich negativ auf das Gleichgewichtsprinzip des Ökosystems auswirkt. In diesem Spannungsverhältnis von ökologischem Gleichgewicht und 'menschlicher Überle­bens Strategie' liegt die "Voraussetzung für eine anthropogene Umweltkrise begründet. Die Untersuchung des Prozesses, der dieses Spannungsverhältnis, i.e. der heutige Zustand der Umwelt, bedingt, ist das Ziel dieses umwelthistorischen Ansatzes.

Der dritte, sogenannte konstruktivistische Ansatz, der sich an eher mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen orientiert, setzt sich auf einer kognitiven Ebene mit der Mensch-Umwelt-Beziehung auseinander, wobei insbesondere die "umweltrelevanten Handlungen menschlicher Gesellschaften als Elemente eines umfassenden Systemzusammenhangs" im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

Diese Berührungspunkte und Dependenzen liegen vornehmlich in der zweigeteilten Forschungsmatrix begründet. So steht die systemtheoretische Darstellung und Erforschung der Zustände vergangener Umwelten der geistig-ideologischen Ebene mit ihrer sozialen Umweltwahrnehmung entgegen. Um jedoch sowohl das Handeln bzw. Nichthandeln des Menschen oder der Gesellschaften als auch die Auswirkungen auf die historische Umwelt bewerten und verstehen zu können, bedarf es nach Pfisters Ansicht eines fruchtbaren Austausches zwischen den Vertretern der ein­zelnen Ansätze.

Was nun die Behandlung historischer Kulturlandschaften angeht, so kommt dieser Problematik in den historischen Umweltwissenschaften eine eher geringere Rolle zuteil. Historische Umwelten werden nämlich von der Umweltgeschichte in der Regel nicht als kulturelles Phänomen angesehen, sondern als ein allein Naturgesetzen unterstehendes System betrachtet, in dem der historische Mensch agiert.

Ein Problem, welches sich für viele umwelthistorische Arbeiten feststellen läßt, ist die ausschließliche Beschränkung auf bestimmte Umweltmedien (Wasser, Luft, Boden). Hierbei erfolgt zwar eine Auseinandersetzung mit der historischen Umwelt, die sich jedoch nur auf einen kleinen Teil der tatsächlichen Umwelt des historischen Menschen bezieht. Historische Kulturlandschaften als spezifische prozeßhafte Gefüge wer­den in dieser Hinsicht fast ausschließlich von ihrem immanenten anthropogenen Charakter entbunden. So losgelößt vom sinngebenden Element der Kulturlandschaft wird der Begriff der historischen Umwelt unbestimmt und inhaltsleer.

Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von historischen Kulturland­schaften leistet die Umweltgeschichte jedoch durch ihre disziplingegebene Ursachenanalyse des menschlichen Handelns in historischer Perspektive. Im Gegensatz zur Historische Geographie, die sich nur mit den raumrelevanten Aktivitäten unserer Vorfahren auseinandersetzt, fragt die Umweltgeschichte nach den Hintergründen dieser Aktivitäten. Mit dieser quer- und längsschnittlichen Betrachtung können tiefgreifende Beziehungszusammenhänge zwischen den natürlichen Verhältnissen und dem menschlichen Wollen und Handeln aufgedeckt werden. Daher fordert Dietrich Denecke zur Erklärung früherer Entwicklungsprozesse von Kulturlandschaften auch die Zugrundelegung einer Umweltgeschichte.

2.3    Perspektiven einer interdisziplinären Forschung

Die dargestellten Forschungsschwerpunkte von Historischer Geographie und historischer Umweltforschung verdeutlichen die recht unterschiedliche Vorgehensweise bei der Erforschung historischer Umwelten bzw. Kulturlandschaften. Dies stellt zunächst keinen überraschenden Befund dar, denn die einzelnen Disziplinen besitzen von ihrer interdisziplinären Ausrichtung her jeweils gute Möglichkeiten, sich dem Problemfeld historischer Umwelt sowohl von theoretischer als auch von methodischer Seite zu nahem. Lediglich im Hinblick auf die Begrifflichkeit bestehen bei der noch jungen Forschungsrichtung der Umweltgeschichte noch einige Defizite.

Das eigentliche Problem liegt deshalb auch nicht in den unterschiedlichen Ausgangspunkten - wie gezeigt, ergaben sich gerade hier Berührungspunkte für eine fruchtbare Ergänzung - begründet, sondern resultiert vielmehr aus dem Umstand, daß mit den Mensch-Umwelt-Beziehungen ein Grenzbereich der Forschung angeschnitten wird, der allein mit den Möglichkeiten und Mitteln einer Disziplin nur unvollständig zu leisten ist.

Die von beiden Wissenschaften allseits proklamierte Interdisziplinarität beschränkt sich in dieser Hinsicht jedoch lediglich auf die Bereitstellung und den Austausch von Material und Informationen. Für eine optimale Erforschung historischer Kulturlandschaften kommt es jedoch nicht mehr darauf an, welche Wissenschaft sich welchem Themenbereich zuwendet, sondern es müssen alle wichtigen Problemfelder angesprochen und gleichberechtigt in die Analyse mit einbezogen werden. Dieser holistische und den Gegenstand in seiner ganzen Breite umfassende Ansatz impliziert dabei eine verstärkte fächerübergreifende Zusammenarbeit. Dabei ist es nicht erforderlich, daß einer der Disziplinen eine integrative Rolle zugewiesen wird, wie das beispielsweise Hubert Mücke für die Historische Geographie vorsieht. Eine mögliche Perspektive zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit der historischen Mensch-Umwelt-Beziehung sollte vielmehr auf der Basis einer Verständigung auf ein gemeinsames Forschungsziel angesetzt werden, bei der die disziplineigenen Ansätze der jeweiligen Wissenschaft voll zum Tragen kommen.

 

 

 

 

 

 

 


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