4952-9 
Nummer 2217
Speyer,
den 11. Dezember 1882
Kgl.
Strassen - und Flussbauamt Speyer
Betreff:
Elementarereignisse,
Hier
Die
Überschwemmung in Neustadt
Mein
Schreiben vom 4. des Mo. Nr. 2155 bringe ich zur baldgefälligen Anweisung der
Lohnliste hiermit in Erinnerung, da die Leute ihres Geldes bedürftig sind.
Zugleich
wollen Sie mitteilen, wie es mit dem Nachen des Schiffbauers Haßelberger steht
und wann die 3 Nachen zurückerwartet werden können, welche in den Straßen der
Stadt längere Zeit der Jugend preisgegeben waren.
Unterschrift
kgl.
Bauamtmann
Königreich
Bayern.
Bürgermeisteramt
Neustadt a/H.
Acta
Betreff:
Die
Wassernoth vom 25. November 1882
4952-8 
Verehrtes
Bürgermeisteramt Neustadt
Neustadt
den 10. December 1882
Nachdem
das Hochwasser in der Mandelgasse verlaufen und mein daselbst stehengebliebener
Nachen nur noch hinderlich sein könnte, so erlaube ich mir das ergebene
Ersuchen, die Stadt möge solchen in den Bach vor meinem Hause abladen lassen.
Möchte dann denselben aufhängend unter dem Gewölbe schwimmen lassen, wodurch
er gut erhalten bleibt, um ihn im Fall ähnlicher Wassernoth wieder zur
Verfügung stellen zu können.
Bei
längerem Lagern würde das Objekt schadhaft werden, sehe deßhalb alsbaldiger
Erledigung meines Gesuches entgegen.
Mit
Hochachtung
Aug.Oehlert
4952-1
Die Wassernoth vom 25. November bis zum 1. Dezember 1882
betreffend
Zum ewigen Gedächtniß jener für die Stadt Neustadt so
ereignißvollen Katastrophe vom 29. November 1882 sei hiermit Folgendes zu den
Daten der Stadtbehörde von Neustadt constatiert:
Das ganze Jahr 1882 war ein Jahr des regens zu nennen.
Frühjahrs wie Sommers brachten Niederschläge auf Niederschläge und ebenso
machte auch der Herbst keine Ausnahme. Kaum daß es möglich war die
feldfrüchte trocken nach Hause zu bringen, und die Weinlese vorzunehmen, so
unverdrossen spendete Jupiter ..... aus seinem nicht enden wollenden Füllhorn.
Die Erde war sohin bis zum Überfluß mit Wasser
gespeichert und es bedurfte nur des kleinen Schneefalles in den Gebirgen, wie es
gegen Ende des Novembers eintrat um Überschwemmungen herbeizuführen, sobald
der Schnee schmolz. Die Inundation trat dann auch sehr schnell ein.
Am 24. November gingen schon die niedrigst gelegenen Theile
der Vorstadt unter Wasser, wie die Mandelgasse, Seilerbahn etc. Am
Samstag den 25. November gegen Abend machte sich auch schon das
Wasser auf dem Marktplatz vor dem Stadthause bemerkbar, indem es von der
Stadtmühle vor drang. Der Bach schwoll immer mehr an; in der Nacht vom Samstag
zum Sonntag, also vom 25. zum 26. November überschritt er an verschiedenen
Orten sein natürliches Bett und brauste durch die Straßen. Der Bach wurde zum
Strom – zum Meer!—
Hilfeaufruf (Dokument nicht Übersetzt)
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In der Nacht vom Samstag gingen alle Familien, in den
Niederungen des vorstädtischen Gebietes mit ihrem Viehe flüchtig, so
insbesondere die Mandelgasse; viele Menschen und vieles Vieh gab es noch in
jenem Stadttheile zu bergen und es wurde darin Heldenmüthiges geleistet. Es war
nur ein Privatboot vorhanden und mit diesem wurde die Rettung
bewerkstelligt.
Am Sonntag früh war so zu sagen die ganze Stadt
überschwemmt; frei vom Wasser war nur noch die ganze Friedrichstraße, die
Landauer = und Maximilianstraße, der alte Weg -, die Rittergartenstrasse, noch
theilweise die Austerlitzstrasse, überhaupt diejenigen Stadttheile, welche am
höchsten gelegen waren. Die Hauptstraße war frei vom Strohmarkt her bis zu
Baer und Christmann – (nicht zu lesen, Anmerkung MG) und vom Brand-Klein in
der oberen Hauptstraße aufwärts.
Vorerst wurden mit Flössen, die man in der Eile contruirte,
Menschen ans Land gesetzt und Nahrungsmittel ausgefahren.
Das Wasser wuchs von Stunde zu Stunde, so daß schon
Sonntag Abend gegen 8 Uhr das Wasser von der Kellereistrasse heraus und in die
Friedrichstrasse trat. Bis Montag früh war auch der größte Theil der
Friedrichstrasse überschwemmt, so daß man auch dort schon mit dem Kahn
verkehren konnte. Jetzt war die Stadt Neustadt ein einziger See. Die Nacht war
erhellt, mit den noch von der Nacht zuvor brennenden Gaslaternen und so glaubte
man sich nach Venedig versetzt.- - -
Montag Mittag kamen telegraphisch herbeigerufene Soldaten
vom Pionierbattallion No. 2 (von Speyer) unter Commando ihres Vizefeldwebels
Herrn Carl Großmann. Von nun an ging es lebhaft zu. Die Stadt wurde
systematisch nach beigeheftetem Plan von 2 Seiten aus – nämlich vom
Strohmarkt und vom Spital aus mit Kähnen befahren und die in der Stadt in ihren
sicheren Wohnungen gefindlichen Einwohnern – natürlich war alles in die
oberen Stöcke geflüchtet, -verproviantirt.
Jedes Boot wurde am Landungsplatz (Stohmarkt oder Spital)
mit den nöthigsten Lebensmitteln, als Brod, Fleisch, Milch, Kartoffeln sowie
sowie Kohlen ausgerüstet und dann liefen die Boote aus, in die verschiedenen
Strassen. Zurückkehrende Boote
brachten ärmere Familien ans Land, die in weniger sicher gebauten Häusern
wohnten.
Die Bürgerschaft die in ihren Häusern zurückblieb, wurde
auf diese Weise aufs beste versorgt und es wurde sohin alle Noth gesteuert. Die
Lebensmittel wurden von den Bewohnern
der Häußer von den Booten in Häfen und dergleichen an Tauen emporgezogen.
Die Verproviantierung wurde so gerecht ausgeführt, daß
selbst den Bürgern auf Wunsch durch die Boote Lichter und sonstiges
Beleuchtungsmaterial zugeführt wurden.
Ein Beispiel illustrirt die Sache am Besten, wenn erwähnt
wird, daß der Herr Feldwebel Grohsmann einem alten Schustermeister „seinen
unentbehrlichen Schnupftabak“ per Boot brachte. „Ich muß sterben“, ruft
der alte Schuster „wenn ich meinen Schnupftabak nicht habe“. „Das sollt
ihr nicht“ meint Grohsmann! Und mit dem nächsten Boote bringt er ihm –
seinen Tabak! - - -
Immerhin ist es ein Wunder zu nennen, daß bei dieser
Katastrophe keine Menschenleben zu Grunde gingen, wenn man bedenkt, wie hoch
überall das Wasser stand und mit welcher Macht es daher brauste, wie z.B. in
der Vorstadt, in der Stangenbrunnengasse, Landschreibereigasse, Stadtgasse
u.s.w. Die Beobachtung wurde u.A. gemacht, daß bei Brückenbauten man darauf
achten muß, daß diese Bauten derart massiv sind, daß sie den anstürmenden
Wassern zu widerstehen vermögen und auch die Brückengeländer fest construiert
sind. Man konnte z. B. oft beobachten, wie Boote von den Strömungen an
Brückengeländer geworfen wurden und die Bemannung nur dadurch nicht in den
Fluß gerissen wurde und dem sonst sicheren Tode entging, daß die
Brückengeländer stand hielten. Aus diesem Grunde sollten auch Brücken nie
ohne feste Geländer sein. Die ärmeren Einwohner waren während dieser
Schreckenstage theils im Saalbau, theils im Hetzelstift, auf dem alten
Schießhause bei Deidesheim und in Privatwohnungen untergebracht. Am Mittwoch
abend begannen die Massen zu verlaufen, denn schon an jenem Tage ging schon der
Wasserstand in der Friedrichstraße sichtlich zurück. Am Donnerstag Früh
konnte man schon per Wagen die Hauptstraße passieren; der Verkehr war dadurch
wieder ins Leben getreten, denn nur noch einige Straßentheile waren noch unter
Wasser, als Vorstadt, als Metzgergasse.. Diese letzteren Straßen mußten noch
Donnerstag mit Booten befahren werden. Zu erwähnen ist noch, daß auch Schiffe
aus Frankenthal, Kaiserslautern und Speyer zur Hilfe hierher geschickt wurden.
Noch
wochenlang nach jener Katastrophe wurden die ärmeren und am meisten
bedürftigen Bewohner der Stadt, im Hetzelstift auf Anordung der städtischen
Behörden mit Lebensmitteln und Kohlen versorgt.
Neustadt im Dezember 1882
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